Das Institut trauert um tit. Univ.-Prof. Dr. Christine Harrauer (1945 – 2023)

Schon in den höheren Semestern ihres Studiums der Klassischen Philologie, das sie1963 in Wien begonnen hatte, war Christine Harrauer dem Institut verbunden: Nach einigen Werkverträgen, im Rahmen derer sie für Prof. Hanslik Handschriften kollationierte, erhielt sie 1970 die Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin. In dieser Zeit arbeitete sie an ihrer Dissertation, einem Kommentar zum Isis-Buch der Metamorphosen des Apuleius, den sie 1973 abschloss, und studierte zu diesem Zweck mehrere Semester Ägyptologie. Als 1974 eine Bibliothekars-Stelle neu geschaffen werden sollte, absolvierte sie die Bibliothekarsausbildung und wurde nach Ablegung der Prüfung für den höheren Bibliotheksdienst dem Institut als wissenschaftliche Beamtin der Universitätsbibliothek zugewiesen. Von 1977 bis zum Antritt des Ruhestandes 2007 fungierte sie als Leiterin der damaligen Institutsbibliothek, die in jenen Jahren in eine Fachbereichsbibliothek umgewandelt wurde. Außerdem organisierte sie mit großem Engagement zwecks leichterer Benutzbarkeit eine komplette Neuordnung der Bücher des Instituts, führte den bereits vorhandenen Autorenkatalog weiter und legte einen Schlagwortkatalog an, der bis heute gute Dienste leistet. Darüber hinaus übernahm sie 1993 die Leitung der Bibliothek an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die sie bis 2012 innehatte und ebenfalls dazu nutze, auch dort grundlegende Neuerungen durchzuführen.

Doch Christine Harrauer war auch eine ambitionierte Wissenschaftlerin. Von den Jahren der Arbeit an ihrer Dissertation an galt ihr großes Interesse der antiken Religionsgeschichte und Mythologie sowie deren Rezeption in der frühen Neuzeit. Diesem Forschungsschwerpunkt sind neben Beiträgen in wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelbänden vor allem zwei umfangreiche Monographien gewidmet: „Meliuchos. Studien zur Entwicklung religiöser Vorstellungen in griechischen synkretistischen Zaubertexten“, Verlag der ÖAW, Wien 1987 und „Kosmos und Mythos. Die Weltgotthymnen und die mythologischen Hymnen des Michael Marullus“, Verlag der ÖAW, Wien 1994. Dieses zweite Buch war ihre Habilitationsschrift, die Habilitation erfolgte noch im selben Jahr, eine Ernennung zum tit. Univ-Prof. 2003. Religionsgeschichtlichen Themen waren ferner ihre Konversatorien und Übungen gewidmet, die sie zunächst gemeinsam mit Prof. Schwabl hielt, ab 1987 selbstständig. In der Folge der Habilitation kamen Vorlesungen zu dieser Thematik hinzu, für die sie auch zweimal an der Universität Graz Lehraufträge innehatte. Außerdem wurde sie unter Hans Schwabl, dem Obmann der an der ÖAW angesiedelten Kommission für Antike Literatur und Lateinische Tradition, die 2012 in das dortige Institut für Kulturgeschichte der Antike eingegliedert wurde, Mitglied dieser Kommission und ab 1999 Obmann-Stellvertreterin. In diesen Jahren entstanden mehrere Projekte zu neulateinischen Texten, etwa das FWF-Forschungsprojekt „Traditionslinien mythologischer Handbücher von der Renaissance bis in die Goethezeit“, das sie von 1999 bis 2002 leitete. Schließlich überantwortete ihr Herbert Hunger die vollständige Neubearbeitung und Erweiterung seines bewährten Lexikons der griechischen und römischen Mythologie (9. Auflage, Verlag Brüder Hollinek, Purkersdorf 2006).

Einen weiteren Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit bildete die Beschäftigung mit der neuzeitlichen Reiseliteratur, zu der sie durch die Beteiligung an einem Projekt des Osteuropa-Historikers Walter Leitsch, der Edition der Moscovia des Sigismund von Herberstein, animiert wurde. Herberstein war es auch, an dem sie bis zuletzt arbeitete: Ein diesbezüglicher Beitrag wird 2024 posthum publiziert werden. Für das Erscheinen dieser Zeitschrift sowie der Wiener Humanistischen Blätter erwarb sich Christine Harrauer in all den Jahren große Verdienste als Mitherausgeberin und durch redaktionelle Tätigkeit.

Abgesehen von ihrem Engagement für die Bibliothek und ihren wissenschaftlichen Leistungen wird sie aber noch in anderer Hinsicht in Erinnerung bleiben: Zu Beginn ihrer Tätigkeit am Institut Ende der 60-er Jahre galt sie im Kreis der damals ebenfalls noch jungen Assistenten und Mitarbeiter von Rudolf Hanslik durch ihre Art in Denken und Handeln als Vertreterin der damals herrschenden Aufbruchsstimmung. Im Laufe ihres langjährigen Wirkens an der besagten Lehr- und Forschungseinheit wurde sie in vieler Hinsicht zur ,Seele des Institutsʻ: Sie hatte stets ein offenes Ohr für etwaige Probleme von Institutsmitgliedern und kümmerte sich auch um jüngere Kolleginnen und Kollegen, die ihr als bibliothekarischer, archivarischer und wissenschaftlicher Nachwuchs an der ÖAW sowie der Universität Wien sehr viel verdanken, vor allem aber gelang es ihr meist, aufkeimende Unstimmigkeiten im persönlichen Gespräch mit den Betroffenen zu applanieren und die Harmonie wiederherzustellen. Für all das sind wir ihr sehr dankbar.

Christine Ratkowitsch, für das Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein der Philolgisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät