Wien – Lemberg: Ein Fakultätsabkommen und eine „Vorlesungsanthologie“

Zur Kooperation zwischen der Philologisch–Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und der Fakultät für Fremdsprachen der Nationalen Iwan–Franko–Universität Lwiw

Nach individuellen Kontakten in mehreren geisteswissenschaftlichen Fächern entstand seit 2006 eine verstärkte Kooperation zwischen den beiden Fakultäten, die über mehrere Jahre auch durch ein formales Fakultätsabkommen gefördert wurde. Diese Entwicklung führte zu einem verstärkten Austausch von Studierenden, der vor allem auf ukrainischer Seite großes Interesse fand, erleichterte die Einladung zu Gastvorträgen und ermöglichte fallweise die Teilnahme ukrainischer Wissenschaftler an internationalen Kongressen in Wien. In der Wiener Slawistik erfuhren Lehre und Forschung auf dem Gebiet der ukrainischen Sprache und Literatur eine deutliche Aufwertung.

 

Ein spezieller Beitrag zur Förderung der akademischen Lehre fällt in den Bereich der Klassischen Philologie. An den höheren Schulen der Ukraine gibt es keinen Unterricht in den Alten Sprachen, deren Studium jedoch an der Universität Lemberg angeboten wird. Im Rahmen der vierjährigen Ausbildung müssen zuerst die grundlegenden Sprachkenntnisse vermittelt werden, sodass die Lektüre der wichtigsten Autoren nur in beschränktem Ausmaß stattfinden kann. Zur Ergänzung des lokalen Lehrangebots hielt der Wiener Latinist (und bis 2010 Dekan) Franz Römer in den Jahren 2006 bis 2013 in deutscher Sprache (!) Vorträge bzw. Vorlesungen zu literaturgeschichtlichen und kulturgeschichtlichen Themen. Zu einigen Themen konnte er nicht nur in Lemberg, sondern auch in Czernowitz (wo er 2008 den Rektor der Universität Wien bei den Feiern anlässlich des 600 Jahre–Jubiläums der Stadt vertrat) sowie in Drohobytsch und Ternopil auf Einladung der dortigen Germanisten referieren.

 

Im Jahr 2019 äußerte der Germanist und Dekan der Lemberger Fremdsprachenfakultät Wolodymyr Sulym anlässlich eines Besuches in Wien den Wunsch, eine Auswahl der literaturgeschichtlichen Themen in Form eines Lehr- und Lesebuchs für fortgeschrittene Studierende und allgemein Interessierte zu publizieren. Nach einer umfassenden Überarbeitung aller Teile erschien das Buch Ende 2021 in Lemberg als „Vorlesungsanthologie zur thematischen Breite und politischen Relevanz der römischen Literatur“. Die zehn Kapitel haben teils den Charakter von komprimierten Vorlesungen zu einzelnen Autoren oder Gattungen wie „Livius“ oder „Römische Briefliteratur“, teils entsprechen sie Vorträgen zu Themen wie „Die Darstellung von Frauen bei römischen Historikern“ oder „Politik und Propaganda in der Literatur der frühen römischen Kaiserzeit“. Mit dem letzten Kapitel „Der Ältere Scipio Africanus im Spiegel der Weltliteratur“ ist auch die Wirkungsgeschichte vertreten.

 

Wie einleitend festgehalten wird, besteht das Ziel des Buches in der „Erweiterung des Blickfelds auf einige Teilbereiche und Themen der römischen Literatur, die beim Studium des Faches nicht immer die Aufmerksamkeit erhalten, die ihrer literarischen und gesellschaftlichen Relevanz entspricht“. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Ziel auch unter dem Eindruck der gegenwärtigen Katastrophe – die noch beim Erscheinen des Buches kaum jemand für möglich gehalten hätte – nicht völlig obsolet und unrealistisch wird.