Bericht über die Aufführung von „Argia und Antigone“ (Tragödie frei nach Statius) und die Spendenaktion für die Ukraine am 24. Februar 2023

Am 24. Februar 2023 fand im HS A am Universitätscampus AAKH die bereits 3. Aufführung eines im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von Lehrenden und Studierenden der Universität Wien erarbeiteten Theaterstücks unter der Gesamtleitung des Professors für Latinistik im Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein, Andreas Heil, statt. Das Antikriegsstück trägt den Titel „Argia und Antigone oder das Lied von Theben“ und ist eine dramatische Bearbeitung eines signifikanten Teils des kaiserzeitlichen Epos „Thebais“ des römischen Dichters Statius. Das interessierte Publikum setzte sich diesmal primär aus AHS-Pädagog*innen und Fachdidaktikspezialist*innen zusammen, da es das kulturelle Abendprogramm im Rahmen der „Internationalen Fachdidaktiktagung der klassischen Sprachen“ (veranstaltet von den beiden Fachdidaktikerinnen Nina Aringer und Yvonne Kahry) darstellte.

Seit geraumer Zeit liegen Dramatisierungen von Romanen im Trend. An Theatern wurden zahlreiche solcher Projekte erfolgreich realisiert (z.B. „Der Mann ohne Eigenschaften“ oder „Professor Unrat“). Die Theatergruppe unter der Regie von Andreas Heil hat sich an dieser Entwicklung orientiert und aus dem fachlichen Fundus der Disziplinen Latein und Altgriechisch geschöpft. Bereits 2018 kam es im Rahmen der Feiern zum 20jährigen Bestehen des Universitätscampus AAKH zu einer Bühnenfassung eines wesentlichen Teils von Senecas „Troades/Troas“ unter dem Titel „Seneca: Die Trojanerinnen oder zeitloses Kriegsleid“. Auch dieses Stück wurde mehrfach in unterschiedlichen Settings gespielt, schon vor fünf Jahren standen weibliche Figuren im Vordergrund, und schon damals war die Aktualisierung des Stoffes ein wichtiges Anliegen des Projekts. Lehrende und Studierende arbeiteten demokratisch zusammen – von der Erstellung des Aufführungstextes über die Komposition von antikisierender Musik bis hin zur konkreten Umsetzung auf der Bühne. Die COVID-Pandemie führte zwischenzeitlich zu einer Unterbrechung der mit viel Enthusiasmus begonnenen Theaterarbeit. Erst Anfang 2022 war eine Fortsetzung möglich – diesmal unter Einbeziehung von Studierenden weiterer Institute.

Stand bei der ersten Inszenierung ein Tragödientext im Mittelpunkt (nicht zuletzt, um ganz praktisch zu erweisen, dass Seneca-Stücke definitiv aufführbar sind), rückte nun ein anderes Genre in den Fokus – ein Epos, ein Heldengedicht in gebundener Rede, das es für die Bühne zu adaptieren galt. Ende 2021 hatten die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Christoph Schwameis und Bernhard Söllradl den internationalen Workshop „Gattungstheorie und transgressive Praxis im nachvergilischen Epos“ veranstaltet. Statius „Thebais“, die aufgrund ihrer dramatischen Handlung immer wieder in die Nähe zum Drama gerückt worden war, bot sich als ergiebiges Experimentierfeld an. Als Forschungsfrage bot sich an, auszuloten, inwiefern und ob man interpretatorischen Mehrwert generiert und einen als Hybrid aus Tragödie und Epos verstandenen Text wie die „Thebais“ besser versteht, wenn man ihn aufführt, wenn man die Protagonist*innen sprechen und (inter)agieren lässt – und: wenn man narrative Passagen inszeniert und ihnen damit Leben einhaucht und Plastizität verleiht.

Manchen Studierenden war der Text bereits aus einschlägigen Lehrveranstaltungen bekannt, anderen – v.a. aber einem breiteren Publikum – musste er erst nähergebracht waren, da die „Thebais“ nicht gerade zu den zentralen Texten im (schulischen) Lateinunterricht gehört. Als Aufführungssprache fungierte – wie schon 2018 – bis auf die musikalischen Passagen, das Deutsche. Die lateinischen Lieder wurden übertitelt. Das fertige Stück versteht sich als gelungene Kombination von Wissenschaft, (Fach)didaktik und Kunst.

Wer sind nun die Titelheldinnen? Antigone kennt man gemeinhein als Schwester der verfeindeten Brüder Eteokles und Polynikes, die sich nach beider Tod in der Schlacht über das Bestattungsverbot, das der Sieger Kreon ausgesprochen hat, hinwegsetzt – und dafür einen hohen Preis bezahlt. Aber Argia? Während beim griechischen Tragödiendichter Sophokles (und in seiner reichen Nachfolge) Antigone als alleinige und isolierte Heldin agiert, bekommt sie bei Statius eine gleichberechtigte Partnerin bei der Bestattung: Polynikes’ Frau Argia, die Tochter des Adrast von Argos. Sie ist als Mutter eines Sohnes im Kindesalter, Thersander, gemeinsam mit anderen trauernden Soldatenmüttern und -frauen aus Argos nach Theben gekommen, um für die Bestattung ihrer Gefallenen Sorge zu tragen. Als die Frauen von Kreons unmenschlichem Bestattungsverbot erfahren, gehen alle bis auf Argia nach Athen zu Theseus, um dort Hilfe zu suchen. Argia begibt sich heimlich auf das Schlachtfeld – mitten unter die Toten –, findet ihren gefallenen Mann und trifft dort mit dessen Schwester Antigone zusammen. Sie verbrennen Polynikes auf dem letzten noch glimmenden Scheiterhaufen, der just derjenige von Polynikes’ Bruder Eteokles ist. Die Feindschaft der beiden, die sich im Zweikampf gegenseitig erdolcht haben, bringt die Flammen erneut zum Lodern. Die beiden Frauen werden von Wachtposten ertappt und scheinen in den sicheren Tod zu gehen. Doch Theuseus’ Ein-greifen rettet nicht nur sie, auch ihre Toten dürfen bestattet werden. Zehn Jahre später – Argias Sohn Thersander ist in der Zwischenzeit erwachsen geworden – findet in Theben eine große Feier zum 10jährigen Frieden zwischen Argos und Theben statt. Antigone und Argia sehen einander wieder, Thersander hält die Festrede. Alles scheint ein gutes, versöhnliches Ende gefunden zu haben. Doch Thersander hat andere Absichten: Er rächt den Tod seines Vaters Polynikes blutig. Am Ende sind alle tot. Antigone und Argia treffen einander ein letztes Mal – als Tote im Jenseits.

Die beiden Frauen und ihre Landsleute sind Opfer eines tödlichen Kreislaufs der Gewalt geworden. Gerade am 24. Februar 2023, dem Jahrestag des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Wladimir Putins auf die Ukraine, hat das Stück erschreckende Aktualität gehabt: Brüder kämpfen gegen Brüder, unermessliches Leid trifft Frauen, Kinder und Männer. Statius schrieb sein Epos „Thebais“ in einer Zeit, in der Bürgerkrieg fest im Gedächtnis seiner Rezipient*innen verankert war. Die Erstfassung des Skripts von „Argia und Antigone“ war kurz vor dem 24. Februar 2022 fertiggestellt worden. Danach begannen die Überlegungen der Theatergruppe, wie man in der Inszenierung kritisch und aufrüttelnd auf den Krieg in Europa reagieren könnte, hatte die Grundbotschaft der „Thebais“ doch unbegreiflicherweise nichts von ihrer Aktualität verloren. So manche Szene wurde als Reaktion auf die Geschehnisse adaptiert: Ein Stück über und gegen den Krieg muss in Kriegszeiten anders gespielt werden, um niemandes Gefühle zu verletzen.

Der dritte Aufführungstermin fiel mit dem Jahrestag des Angriffskrieges zusammen. Die Theatergruppe wollte diesem traurigen Anlass Respekt zollen und rief zu einer Spendenaktion des Publikums für die Ukraine an „Ärzte ohne Grenzen“ und „Nachbar in Not“ auf. Insgesamt konnten EUR 500 gesammelt werden, die zu gleichen Teilen an die beiden Hilfsorganisationen übergeben wurden. (Am Tag nach der Aufführung erreichte uns das Mail eines Kollegen, der uns - angeregt von unserer Initiative - einen tagesaktuellen Beleg über seine Spende von EUR 200 an die Caritas zugunsten der Ukrainehilfe übersandte.)

Und es gab auch eine künstlerische Besonderheit. Von Anfang an wurde als eines der Lieder im Stück eine eigens getextete lateinische Version von „Sag mir, wo die Blumen sind“ gesungen. Nun war der Wunsch, von einer ukrainischen Studierenden die ukrainische Fassung interpretieren zu lassen: Stefan Newerkla (Institut für Slawistik) vermittelte den Kontakt zu Michael Eichmair (Hilfestab Ukraine der Universität Wien), der bei Nadiya Khaverko (einer ukrainischen Gesangslehrerin an der „Friedrich Gulda School of Music Wien“) anfragte. Yevheniia Amadeiia Edelvais, eine ihrer Schülerinnen, erklärte sich sofort bereit, diesen wichtigen Part zu übernehmen. Sie sang am Ende des Stücks – als Epilog und als Hoffnung auf eine friedli-che Zukunft – ihre ganz persönliche Version des Antikriegsliedes: für ihr Land, für das Publikum an diesem Abend, für sich und ihre Lieben und für eine Welt ohne Krieg und unermessliches Leid. Ihr gilt unser ganz besonderer Dank, unsere guten Wünsche begleiten sie, und wir hoffen – wie die ganze freie Welt –, dass wir unsere nächste Aufführung am 21. April 2023 (im HS B am Universitätscampus AAKH) bereits unter anderen Vorzeichen spielen können.